Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitglieder,
ich bitte um Nachsicht, dass
das Herbst-Rundschreiben dieses Mal um drei Wochen
verspätet herausgeht. Der Grund ist die Verhandlung
vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR) vom 22. September 2004. Über das Ergebnis
dieser Verhandlung wollte ich zusammen mit diesem
Rundschreiben berichten.
1. Beschwerde zum EGMR wegen zu niedriger
Entschädigungs-/Ausgleichsleistungen
Dazu übersende ich Ihnen den Bericht unseres
zweiten Vorsitzenden Dr. Märker als
- Anlage 1 -.
Der Bericht ist detaillierter
und informativer als sämtliche Presseberichterstattungen,
die zu der Verhandlung vom 22. September 2004 ergangen
sind.
Bitte beachten Sie: Mit einer Entscheidung des EGMR
wird zu Beginn des Jahres 2005 gerechnet. Nach dem
Verlauf der Verhandlung vom 22. September 2004 besteht
die Möglichkeit, dass das EALG und dessen niedrige
Entschädigungssätze für mit der Menschenrechtskonvention
unvereinbar erklärt werden. Das würde bedeuten:
Das EALG muss - möglicherweise erheblich! - vom
deutschen Gesetzgeber nachgebessert werden. Da der
EGMR in der Besetzung der Großen Kammer entscheidet,
kann seine Entscheidung nicht mehr mit der Beschwerde
angefochten werden; die Entscheidung wird endgültig
sein. Sollte der EGMR zugunsten der Enteigneten entscheiden,
hätte das erhebliche Auswirkungen auf unsere
Entschädigungs- / Ausgleichsleistungen. Dies
aber nur dann, wenn bis zur Entscheidung des EGMR
noch kein rechtskräftiger Bescheid vorliegt.
Legen Sie daher unbedingt, sollten Sie bis zur Entscheidung
des EGMR noch einen Entschädigungs- / Ausgleichsleistungsbescheid
erhalten, hiergegen Rechtsmittel ein, ggf. durch Klage
beim Verwaltungsgericht. Soweit Sie sich hierfür
nicht anwaltlich beraten und vertreten lassen wollen,
benutzen Sie dafür bitte das vorsorglich noch
einmal als
- Anlage 2 -
beigefügte Klageformular.
2. Beschwerde zum EGMR wegen des sog. Bodenreformeigentums
Die Große Kammer beim EGMR hat noch nicht terminiert.
Anlässlich eines Termins, den ich vor zwei Wochen
in Magdeburg hatte, eröffnete mir der Richter,
dass auf seinen „Rat" hin reihenweise Klagen
auf Wiedereinräumung des „Bodenreformeigentums"
zurückgenommen worden seien. In der von mir vertretenen
Sache habe ich das allerdings nicht getan. Hier geht
es um Rückforderung des gezahlten „Kaufpreises",
den die Mandanten gezahlt hatten, um das „Bodenreformeigentum"
zu behalten. Der Anspruch geht auf ungerechtfertigte
Bereicherung wegen Wegfalls des rechtlichen Grundes
(Unvereinbarkeit der maßgebenden Rechtsvorschrift
des Art. 233 Abs. 2 Ziff. 1 und Abs. 3 EGBGB mit der
Europäischen Menschenrechtskonvention gemäß
Urteil des EGMR vom 22. Januar 2004). Nach längerer
Erörterung schien der Richter beeindruckt. Mit
einer Klageabweisung rechne ich nicht.
3. Rückforderung / Verrechnung von Lastenausgleich
a) Rückforderung von Kriegsschadenrente
Das BVerwG hat am 15. Juli 2004 in der von mir vertretenen
Sache entschieden, dass die Rückforderung der
Kriegsschadenrente nach dem 33. ÄndG LAG mit
dem Grundgesetz vereinbar ist.
Da während des Verfahrens die Mandantin und deren
Sohn, die das Verfahren betrieben hatten, verstorben
sind, kann ich gegen die Entscheidung Verfassungsbeschwerde
nicht mehr einlegen. Ob von anderer Seite Verfassungsbeschwerde
- in einer anderen Sache - eingelegt werden wird,
weiß ich nicht.
Ich würde eine Verfassungsbeschwerde, nachdem
das BVerwG zugunsten der öffentlichen Hand entschieden
hat, für wenig aussichtsreich halten. Die Hoffnung,
die Rückzahlung / Verrechnung der Kriegsschadenrente
zu vermeiden, knüpfte sich an das BVerwG, nachdem
das BVerwG im Jahre 1998 die Rechtslage vor Inkrafttreten
des 33. ÄndG LAG für verfassungsgemäß
er-klärt hatte.
Die Entscheidung des BVerwG - Az. BVerwG 3 C 44.03
- kann im Internet (www.BVerwG.de) nachgelesen oder
bei mir gegen Erstattung der Kopier- und Versandkosten
von EUR 6,00 abgerufen werden.
b) Bitte beachten Sie: Die Menschenrechtsbeschwerden
in Straßburg, über die am 15. September
2004 verhandelt wurde, richten sich auch gegen den
Abzug / die Verrechnung des Lastenausgleichs in voller
Höhe zuzüglich des Zinszuschlages. Deswegen
und weil kurzfristig mit einer Entscheidung der Großen
Kammer des EGMR zu rechnen ist, sollten Sie auch Rückforderungs-
/ Verrechnungsbescheide des Lastenausgleichsamtes
nicht rechtskräftig werden lassen und notfalls
gegen Rückforderungsbescheide / Rückforderungsbescheide
zur Verrechnung Rechts-mittel einlegen, bis in Straßburg
entschieden ist.
4. Doktorarbeit von Frau Constanze Paffrath
a) Die Doktorarbeit von Frau Paffrath sowie die Verhandlung
beim EGMR am 22. September 2004 war Anlass für
eine ¾-stündige Sendung im Ersten Deutschen
Fernsehen am 15. September 2004, 23:00 Uhr. Eine Druckversion
über die Sendung füge ich als
- Anlage 3 -,
eine Vorwegrezension der FAZ
aus ihrer Ausgabe vom 15. September 2004 als
- Anlage 4 -
bei.
b) Auf der Grundlage der Doktorarbeit von Frau Paffrath
hat Prof. Dr. Bernhard Kempen aus Köln unter
Mitarbeit seiner Assistentin Dr. Yvonne Dorf ein Rechtsgutachten
erstellt: „Bodenreform 1945 / 1949: Eine verfassungs-rechtliche
Neubewertung". Das Gutachten ist in der Kölner
Schriftenreihe (Staatsrecht) unter Band 20 (ISBN 3631-52669-5)
erschienen. Die abschließenden Thesen von Prof.
Dr. Kempen sind als
- Anlage 5 -
beigefügt.
5. Verschiedenes
a) Im letzten Rundschreiben vom 08. Juni 2004 hatte
ich unter Ziff. 7. c) über einen SPIEGEL-Artikel
vom 01. Juni 2004 berichtet, den ich auch dem Rundschreiben
beigefügt hatte. Der SPIEGEL bezog sich hier
auf ein Urteil des BGH vom 17. Februar 1960. Dieses
Urteil, so meinte der SPIEGEL, habe festgelegt, dass
die Bodenreform den Untergang des Eigentums der „Alteigentümer"
bewirkt hätte.
Nach Abfassung des Rundschreibens vom 08. Juni 2004
habe ich mir das Urteil beschafft (Az. V ZR 86/58).
Nach Lektüre des Urteils kann ich Entwarnung
geben. Die Entscheidung des BGH betrifft öffentlich-rechtliche,
nicht private Rechtspositionen. Das Urteil ist vom
SPIEGEL oder von interessierter Seite falsch interpretiert
worden. Anders, als der SPIEGEL meint, geht aus der
Entscheidung hervor, dass private Rechte zu achten
sind und dass die Bodenreform private Rechte nicht
berührt hat. Auf den maßgebenden Seiten
17 / 18 heißt es im Urteil vom 17. Februar 1960:
„Die Revision (sc. der Bundesrepublik Deutschland)
... lehnt die Anwendung der Verordnung Nr. 19 (das
war in Mecklenburg-Vorpommern die maßgebende
Enteignungsvorschrift) insbes. unter dem Gerichtspunkt
ab, dass sie eine entschädigungslose Enteignung
herbeiführe, was gegen Art. 14 verstoße.
Ganz abgesehen davon, dass der fragliche Eigentumsübergang
noch vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes erfolgt
wäre und Art. 153 Weimarer Verfassung geringere
Anforderungen stellte, legt das Berufungsgericht zutreffend
dar, dass es nicht darauf ankommt, ob die Verordnung
Nr. 19 als Ganzes rechtsstaatlicher Auffassung entspricht,
sondern ob im Einzelfall die Anwendung der Verordnung
gegen die guten Sitten oder den Zweck eines deutschen
Gesetzes verstoßen würde (RGZ 150, 283,
285, 286). Das Berufungsgericht führt in dieser
Hinsicht aus: Die streitigen Grundstücksflächen
hätten vor der Aufteilung nicht einem privaten
Großgrundbesitzer oder einem anderen privaten
Eigentümer der in der Verordnung Nr. 19 bezeichneten
Gruppe gehört und seien nicht einer Privatperson
enteignet worden. Vielmehr seien die streitigen Ländereien
vor der Aufteilung Staatseigentum gewesen. Ohne Bedeutung
sei die nach dem Austausch eingetretene staatsrechtliche
Entwicklung im Raum des Landes Mecklenburg, insbesondere
die 1952 in der Sowjetzone vorgenommene Umbildung
der Länder in Bezirke. Selbst wenn in dieser
Hinsicht Verschiebungen zwischen der Person des Gesetzgebers
und des Eigentümers der Domäne Römnitz
sich juristisch ergeben hätten, sei doch die
Identität des Eigentümers im Wesentlichen
erhalten geblieben. Die Einbeziehung des der öffentlichen
Hand gehörigen Grundvermögens in den Bodenfonds
und die Aufteilung dieses Landes zur Ansiedlung der
land-wirtschaftlichen Bevölkerung, die bisher
kein Grundeigentum gehabt habe, sei mit rechtsstaatlichen
Auffassungen vereinbar. Auch die Bundes---republik
kenne ein ausgedehntes Siedlungswesen und teile hierfür
ebenfalls staatlichen Grundbesitz auf.
Diesen Ausführungen des Berufungsgerichts ist
zuzustimmen. Auch wenn man mit der Revision annimmt
(vgl. BGHZ 31, 168, 172), dass der Verordnung Nr.
19 die Anwendbarkeit insoweit abzusprechen wäre,
als sie unter politischen Gesichtspunkten Eigentum
ohne Entschädigung den früheren Eigentümern
entzieht, ist die Verteilung von Grund und Boden,
der der öffentlichen Hand gehörte, zu günstigen
Bedingungen, d.h. für geringes Entgelt, mit den
in der Bundesrepublik herrschenden sittlichen Anschauungen
und rechtsstaatlichen Grundsätzen ohne weiteres
vereinbar."
b) Am 21. Oktober 2004 findet in Berlin eine Fachtagung
Vermögens- und Investitionsrecht statt. Die vier
Seiten des Flyers mit der Einladung zu dieser Fachtagung
füge ich in Kopie anliegend als
- Anlage 6 -
bei.
c) Zu den „Wachstumskernen" und der „Sonderwirtschaftszone
Ost" füge ich als
- Anlage 7 -
einen interessanten Kommentar
der ASU vom 12. Juli 2004 bei.
Mit den besten Grüßen
Dr. Rosenberger
Vorsitzender