IOB
   Interessengemeinschaft der in der Zone enteigneten Betriebe e.V.

 
 

Rundschreiben vom 16. Dezember 2005

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder,

turnusmäßig berichte ich wie folgt:

1. Buch zur “Unwürdigkeit”
Das Buch hat den endgültigen Titel erhalten “Unwürdigkeit im Recht der offenen Vermögensfragen”. Mit einem Erscheinen ist im Februar 2006 zu rechnen.

Ich hoffe, daß das Buch über § 1 Abs. 4 AusglLeistG hinaus Auswirkungen haben wird. Ich habe mich auf den Standpunkt gestellt und das auch näher begründet, daß sämtliche Ausschlußklauseln des § 1 AusglLeistG eng auszulegen sind, also auch die sachlichen Ausschlußklauseln des § 1 Abs. 3 AusglLeistG.

Sobald das Buch vorliegt, wird der Vorstand der IOB, möglicherweise mit dem Vorstand anderer Verbände, Schritte unternehmen, um dafür zu sorgen, daß die ausgeuferte “Würdigkeitsprüfung” bei den (Landes-)Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen zurückgefahren wird.

Diese Praxis treibt mittlerweile die farbigsten Blüten. Dazu gehört, daß die (L)ÄRoV verlangen, daß selbst die Erben anerkannter Widerstandskämpfer den Fragebogen auszufüllen haben, in dem nach einer NS-Verstrickung der Väter und Großväter gefragt wird. Dazu gehört weiterhin, daß im Falle der Gewerbe- und Industrieenteignungen Regelanfragen bei allen Landeshauptarchiven/Staatshauptarchiven, beim Bundesarchiv, bei der Gedenkstätte deutscher Widerstand oder bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes gestellt werden. Außerdem sollen noch regionale Quellen erschlossen werden.
Im Hinblick auf die ausgeuferte Prüfungstätigkeit ist es kein Wunder, daß die Abarbeitung der Anträge auf Ausgleichsleistungen nicht vorankommt, wie in den früheren Vierteljahres-, jetzt Halbjahresstatistiken des BARoV nachgelesen werden kann.

2. strafrechtliche Rehabilitierung
Im letzten Rundschreiben hatte ich auf die Initiative von Herrn Dr. Wasmuth hingewiesen, über die strafrechtliche Rehabilitierung zur Anwendung des VermG zu kommen. Herr Dr. Wasmuth hat einige einschlägige Anträge gestellt, vor allem im sächsischen Raum. Er hält es für sinnvoll, wenn entsprechende Anträge auch in anderen Landgerichtsbezirken gestellt werden. Soweit Sie aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Brandenburg, aus Thüringen oder Sachsen-Anhalt stammen und aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 124 enteignet worden sind, sollten Sie sich mit Herrn Dr. Wasmuth in Verbindung setzen und mit ihm erörtern, ob ein Antrag auf eine strafrechtliche Rehabilitierung sinnvoll erscheint. Die Adresse von Herrn Dr. Wasmuth lautet:

Dr. Johannes Wasmuth
c/o Verlag C.H. Beck
Wilhelmstraße 9
80801 München

3. sonstige politische/rechtliche Aktivitäten
Es hat den Anschein, daß nach den Entscheidungen des EGMR vom 30. März und 30. Juni 2005 bei den Politikern kein großes Interesse besteht, sich für die in der SBZ/DDR Enteigneten stark zu machen. Wenig Interesse scheint auch der Ministerpräsident des Landes Niedersachsen, Christian Wulff, zu haben, wie ich der Korrespondenz zwischen der niedersächsischen Staatskanzlei und unserem Mitglied Michael Kromarek entnehme.

Von rechtlichen Initiativen im internationalen Raum ist ebenfalls nichts zu gewärtigen. Namentlich wird der EGMR die Fragen um eine angemessene Entschädigung/Ausgleichsleistung nach einer vertraulichen Mitteilung über ein Gespräch mit dem Präsidenten des EGMR, Wildhaber (Schweiz), nicht mehr aufgreifen.


4. Gerichtsentscheidungen
• BGH vom 07. Juni 2005, Az. XI ZR 311/04
a) Der Erbe ist nicht verpflichtet, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen; er hat auch die Möglichkeit, den Nachweis seines Erbrechts in anderer Form zu erbringen.
b) Eine eröffnetes öffentliches Testament stellt in der Regel einen ausreichenden Nachweis für sein Erbrecht dar.

Soweit (L)ÄRoV Erbscheine (im Original) verlangen, werden sie auf diese Entscheidung des BGH hinzuweisen sein. In der vom BGH entschiedenen Sache ging es um Kosten, die ein Erbe für einen Erbschein hatte aufwenden müssen, um einer Bank seine Erbberechtigung nachzuweisen. Der BGH hat die Bank zur Tragung der Kosten verurteilt, weil deren Anspruch auf Vorlage eines Erbscheins unberechtigt war.

• BVerwG vom 24. Juni 2004, Az. 7 C 21.03 = ZOV 2005, S. 172
Die Bindungswirkung eines Rehabilitierungsbescheides nach § 12 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG hindert das Vermögensamt, im nachfolgenden Restitutionsverfahren die Rückübertragung des entzogenen Vermögenswertes mit der Begründung abzulehnen, eine Rechtsnachfolge scheide schon dem Grunde nach aus.

Die Entscheidung ist wichtig wegen der Wirkung von Reha-Entscheidungen. Liegt eine Reha-Entscheidung vor, kommen das VermG und das EntschG, nicht aber mehr das AusglLeistG zur Anwendung mit der Folge, daß die Ausschlußgründe des § 1 Abs. 3 und 4 AusglLeistG nicht zur Anwendung kommen.

• BVerwG vom 17. März 2005, Az. 3 C 20.04 = ZOV 2005, S. 233
a) Ein erhebliches Vorschubleisten i.S. von § 1 Abs. 4 AusglLeistG ist bereits in der Phase der Errichtung und nicht erst nach der Etablierung des nationalsozialistischen Systems möglich.

b) Voraussetzung für einen Anspruchsausschluß ist in objektiver Hinsicht, daß nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand zu unterdrücken, und die dies auch zum Ergebnis zum Ergebnis hatten. Der Nutzen, den das Regime aus dem Handeln gezogen hat, darf nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein. Die subjektiven Voraussetzungen des Ausschlußtatbestandes sind erfüllt, wenn die betreffende Person dabei in dem Bewußtsein gehandelt hat, ihr Verhalten könne diesen Erfolg haben.

c) Die Einstufung als “Entlasteter” im Rahmen der Entnazifizierung ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
Bei der Entscheidung vom 17. März 2005 handelt es sich um das Hugenberg-Urteil. Den Rechtsnachfolgern von Hugenberg wurden Ausgleichsleistungen verweigert, weil Hugenberg dem nationalsozialistischen System erheblich Vorschub geleistet hatte.

Mit dem Hugenberg-Urteil setze ich mich in meinem Buch auseinander.

Das Urteil vom 17. März 2005 ist eins der ersten, in dem sich das BVerwG mit der Unwürdigkeitsklausel des § 1 Abs. 4 AusglLeistG auseinandersetzt.

• Weitere Urteile zur Unwürdigkeitsklausel des § 1 Abs. 4 AusglLeistG
a) BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2005, Az. 3 C 16.04
Ein Oberführer der SS, der als Gauredner, Gauhauptamtsleiter, ferner als Obmann der DAF tätig war, hat dem NS-System erheblich Vorschub geleistet.

Bedenklich an der Entscheidung: Das BVerwG hat den Ausschluß nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG ausgedehnt auf die Witwe des Betroffenen. Der Betroffene war 1943 gefallen und 1945 zusammen mit seiner Witwe enteignet worden, die ja zwischenzeitlich kraft Erbgangs Eigentümerin von dessen Vermögen geworden war. Dieses Vermögen soll die Witwe wegen Unwürdigkeit ihres Ehemannes nicht ausgeglichen erhalten. Ein Fall von Sippenhaft?

b) VG Chemnitz vom 22. Juli 2004, Az. 9K 530/01
Danach soll ein SA-Standartenarzt dem NS-System erheblich Vorschub geleistet haben, der als Gauredner, Bezirksredner und Amtsleiter des NS-Ärztebundes tätig war. Außerdem soll er als Beisitzer am Erbgesundheitsgericht und Teilnehmer an Beschlüssen über Sterilisierungen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen haben.

Die Entscheidung ist bedenklich. Der Betroffene war nur regional für die NSDAP tätig. Die Zwangssterilisierungen an echtem erbkranken Nachwuchs galten in der Bundesrepublik nicht als Verstöße gegen die Grundsätze der Menschlichkeit.

c) VG Dresden vom 25. Januar 2005, Az. 2 K 202/03
Das VG Dresden lehnt die Anwendung des § 1 Abs. 4 AusglLeistG wegen der Beschäftigung von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern ab.
d) VG Berlin vom 12. August 2005, Az. 31 K 347.04
Wie VG Dresden vom 25. Januar 2005, Az. 2 K 202/03.

e) VG Berlin vom 18. März 2005, Az. 31 A 492.03 = ZOV 2005, S. 189
Keine Unwürdigkeit für Ausgleichsleistungen allein wegen Eintritts in die Reiter-SA ab Mitte 1934 und späterem Rang eines SA-Hauptsturmführers.

f) VG Halle vom 09. Dezember 1997, Az. 1 K 495/97 und A 1 K 655/97, ferner Urteil vom 12. Februar 1998, Az. 1 K 1335/96:
Keine Ausgleichsleistungen für Aktionäre der IG Farben AG.

Äußerst bedenklich! Zum Vergleich: Jüdische Aktionäre der IG Farben AG haben Restitutions- bzw. Entschädigungsansprüche. Mit den Urteilen habe ich mich in meinem Buch eingehend auseinandergesetzt.

5. steuerliche Behandlung der Zinsen auf Ausgleichsleistungen
Zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung der Kapitalerträge aus Schuldverschreibungen des Entschädigungsfonds nach dem EALG bzw. für die ab 01. Januar 2004 einsetzende Verzinsung vgl. die als

- Anlage 1 -

beigefügte Mitteilung des BMF (VIZ 2002, S. 46).

Für heute darf ich schließen und Ihnen ein besinnliches Weihnachtsfest, einen guten Rutsch in das Neue Jahr und vor allem ein gutes Jahr 2006 wünschen!


Mit den besten Grüßen


Dr. Rosenberger
Vorsitzender

 
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