Sehr
geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder,
turnusmäßig
berichte ich wie folgt:
1.
Buch zur “Unwürdigkeit”
Das Buch hat den endgültigen Titel erhalten “Unwürdigkeit
im Recht der offenen Vermögensfragen”.
Mit einem Erscheinen ist im Februar 2006 zu rechnen.
Ich
hoffe, daß das Buch über § 1 Abs.
4 AusglLeistG hinaus Auswirkungen haben wird. Ich
habe mich auf den Standpunkt gestellt und das auch
näher begründet, daß sämtliche
Ausschlußklauseln des § 1 AusglLeistG eng
auszulegen sind, also auch die sachlichen Ausschlußklauseln
des § 1 Abs. 3 AusglLeistG.
Sobald
das Buch vorliegt, wird der Vorstand der IOB, möglicherweise
mit dem Vorstand anderer Verbände, Schritte unternehmen,
um dafür zu sorgen, daß die ausgeuferte
“Würdigkeitsprüfung” bei den
(Landes-)Ämtern zur Regelung offener Vermögensfragen
zurückgefahren wird.
Diese
Praxis treibt mittlerweile die farbigsten Blüten.
Dazu gehört, daß die (L)ÄRoV verlangen,
daß selbst die Erben anerkannter Widerstandskämpfer
den Fragebogen auszufüllen haben, in dem nach
einer NS-Verstrickung der Väter und Großväter
gefragt wird. Dazu gehört weiterhin, daß
im Falle der Gewerbe- und Industrieenteignungen Regelanfragen
bei allen Landeshauptarchiven/Staatshauptarchiven,
beim Bundesarchiv, bei der Gedenkstätte deutscher
Widerstand oder bei der Behörde des Bundesbeauftragten
für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes
gestellt werden. Außerdem sollen noch regionale
Quellen erschlossen werden.
Im Hinblick auf die ausgeuferte Prüfungstätigkeit
ist es kein Wunder, daß die Abarbeitung der
Anträge auf Ausgleichsleistungen nicht vorankommt,
wie in den früheren Vierteljahres-, jetzt Halbjahresstatistiken
des BARoV nachgelesen werden kann.
2.
strafrechtliche Rehabilitierung
Im letzten Rundschreiben hatte ich auf die Initiative
von Herrn Dr. Wasmuth hingewiesen, über die strafrechtliche
Rehabilitierung zur Anwendung des VermG zu kommen.
Herr Dr. Wasmuth hat einige einschlägige Anträge
gestellt, vor allem im sächsischen Raum. Er hält
es für sinnvoll, wenn entsprechende Anträge
auch in anderen Landgerichtsbezirken gestellt werden.
Soweit Sie aus Mecklenburg-Vorpommern, aus Brandenburg,
aus Thüringen oder Sachsen-Anhalt stammen und
aufgrund des SMAD-Befehls Nr. 124 enteignet worden
sind, sollten Sie sich mit Herrn Dr. Wasmuth in Verbindung
setzen und mit ihm erörtern, ob ein Antrag auf
eine strafrechtliche Rehabilitierung sinnvoll erscheint.
Die Adresse von Herrn Dr. Wasmuth lautet:
Dr.
Johannes Wasmuth
c/o Verlag C.H. Beck
Wilhelmstraße 9
80801 München
3.
sonstige politische/rechtliche Aktivitäten
Es hat den Anschein, daß nach den Entscheidungen
des EGMR vom 30. März und 30. Juni 2005 bei den
Politikern kein großes Interesse besteht, sich
für die in der SBZ/DDR Enteigneten stark zu machen.
Wenig Interesse scheint auch der Ministerpräsident
des Landes Niedersachsen, Christian Wulff, zu haben,
wie ich der Korrespondenz zwischen der niedersächsischen
Staatskanzlei und unserem Mitglied Michael Kromarek
entnehme.
Von
rechtlichen Initiativen im internationalen Raum ist
ebenfalls nichts zu gewärtigen. Namentlich wird
der EGMR die Fragen um eine angemessene Entschädigung/Ausgleichsleistung
nach einer vertraulichen Mitteilung über ein
Gespräch mit dem Präsidenten des EGMR, Wildhaber
(Schweiz), nicht mehr aufgreifen.
4. Gerichtsentscheidungen
• BGH vom 07. Juni 2005, Az. XI ZR 311/04
a) Der Erbe ist nicht verpflichtet, sein Erbrecht
durch einen Erbschein nachzuweisen; er hat auch die
Möglichkeit, den Nachweis seines Erbrechts in
anderer Form zu erbringen.
b) Eine eröffnetes öffentliches Testament
stellt in der Regel einen ausreichenden Nachweis für
sein Erbrecht dar.
Soweit
(L)ÄRoV Erbscheine (im Original) verlangen, werden
sie auf diese Entscheidung des BGH hinzuweisen sein.
In der vom BGH entschiedenen Sache ging es um Kosten,
die ein Erbe für einen Erbschein hatte aufwenden
müssen, um einer Bank seine Erbberechtigung nachzuweisen.
Der BGH hat die Bank zur Tragung der Kosten verurteilt,
weil deren Anspruch auf Vorlage eines Erbscheins unberechtigt
war.
•
BVerwG vom 24. Juni 2004, Az. 7 C 21.03 = ZOV 2005,
S. 172
Die Bindungswirkung eines Rehabilitierungsbescheides
nach § 12 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG hindert das Vermögensamt,
im nachfolgenden Restitutionsverfahren die Rückübertragung
des entzogenen Vermögenswertes mit der Begründung
abzulehnen, eine Rechtsnachfolge scheide schon dem
Grunde nach aus.
Die
Entscheidung ist wichtig wegen der Wirkung von Reha-Entscheidungen.
Liegt eine Reha-Entscheidung vor, kommen das VermG
und das EntschG, nicht aber mehr das AusglLeistG zur
Anwendung mit der Folge, daß die Ausschlußgründe
des § 1 Abs. 3 und 4 AusglLeistG nicht zur Anwendung
kommen.
•
BVerwG vom 17. März 2005, Az. 3 C 20.04 = ZOV
2005, S. 233
a) Ein erhebliches Vorschubleisten i.S. von §
1 Abs. 4 AusglLeistG ist bereits in der Phase der
Errichtung und nicht erst nach der Etablierung des
nationalsozialistischen Systems möglich.
b)
Voraussetzung für einen Anspruchsausschluß
ist in objektiver Hinsicht, daß nicht nur gelegentlich
oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit
Handlungen vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren,
die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung
oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems
zu verbessern oder Widerstand zu unterdrücken,
und die dies auch zum Ergebnis zum Ergebnis hatten.
Der Nutzen, den das Regime aus dem Handeln gezogen
hat, darf nicht nur ganz unbedeutend gewesen sein.
Die subjektiven Voraussetzungen des Ausschlußtatbestandes
sind erfüllt, wenn die betreffende Person dabei
in dem Bewußtsein gehandelt hat, ihr Verhalten
könne diesen Erfolg haben.
c)
Die Einstufung als “Entlasteter” im Rahmen
der Entnazifizierung ist in diesem Zusammenhang ohne
Bedeutung.
Bei der Entscheidung vom 17. März 2005 handelt
es sich um das Hugenberg-Urteil. Den Rechtsnachfolgern
von Hugenberg wurden Ausgleichsleistungen verweigert,
weil Hugenberg dem nationalsozialistischen System
erheblich Vorschub geleistet hatte.
Mit
dem Hugenberg-Urteil setze ich mich in meinem Buch
auseinander.
Das
Urteil vom 17. März 2005 ist eins der ersten,
in dem sich das BVerwG mit der Unwürdigkeitsklausel
des § 1 Abs. 4 AusglLeistG auseinandersetzt.
•
Weitere Urteile zur Unwürdigkeitsklausel des
§ 1 Abs. 4 AusglLeistG
a) BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2005, Az. 3 C 16.04
Ein Oberführer der SS, der als Gauredner, Gauhauptamtsleiter,
ferner als Obmann der DAF tätig war, hat dem
NS-System erheblich Vorschub geleistet.
Bedenklich
an der Entscheidung: Das BVerwG hat den Ausschluß
nach § 1 Abs. 4 AusglLeistG ausgedehnt auf die
Witwe des Betroffenen. Der Betroffene war 1943 gefallen
und 1945 zusammen mit seiner Witwe enteignet worden,
die ja zwischenzeitlich kraft Erbgangs Eigentümerin
von dessen Vermögen geworden war. Dieses Vermögen
soll die Witwe wegen Unwürdigkeit ihres Ehemannes
nicht ausgeglichen erhalten. Ein Fall von Sippenhaft?
b)
VG Chemnitz vom 22. Juli 2004, Az. 9K 530/01
Danach soll ein SA-Standartenarzt dem NS-System erheblich
Vorschub geleistet haben, der als Gauredner, Bezirksredner
und Amtsleiter des NS-Ärztebundes tätig
war. Außerdem soll er als Beisitzer am Erbgesundheitsgericht
und Teilnehmer an Beschlüssen über Sterilisierungen
gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen
haben.
Die
Entscheidung ist bedenklich. Der Betroffene war nur
regional für die NSDAP tätig. Die Zwangssterilisierungen
an echtem erbkranken Nachwuchs galten in der Bundesrepublik
nicht als Verstöße gegen die Grundsätze
der Menschlichkeit.
c)
VG Dresden vom 25. Januar 2005, Az. 2 K 202/03
Das VG Dresden lehnt die Anwendung des § 1 Abs.
4 AusglLeistG wegen der Beschäftigung von Kriegsgefangenen
und Zwangsarbeitern ab.
d) VG Berlin vom 12. August 2005, Az. 31 K 347.04
Wie VG Dresden vom 25. Januar 2005, Az. 2 K 202/03.
e)
VG Berlin vom 18. März 2005, Az. 31 A 492.03
= ZOV 2005, S. 189
Keine Unwürdigkeit für Ausgleichsleistungen
allein wegen Eintritts in die Reiter-SA ab Mitte 1934
und späterem Rang eines SA-Hauptsturmführers.
f)
VG Halle vom 09. Dezember 1997, Az. 1 K 495/97 und
A 1 K 655/97, ferner Urteil vom 12. Februar 1998,
Az. 1 K 1335/96:
Keine Ausgleichsleistungen für Aktionäre
der IG Farben AG.
Äußerst
bedenklich! Zum Vergleich: Jüdische Aktionäre
der IG Farben AG haben Restitutions- bzw. Entschädigungsansprüche.
Mit den Urteilen habe ich mich in meinem Buch eingehend
auseinandergesetzt.
5.
steuerliche Behandlung der Zinsen auf Ausgleichsleistungen
Zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung der Kapitalerträge
aus Schuldverschreibungen des Entschädigungsfonds
nach dem EALG bzw. für die ab 01. Januar 2004
einsetzende Verzinsung vgl. die als
-
Anlage 1 -
beigefügte
Mitteilung des BMF (VIZ 2002, S. 46).
Für
heute darf ich schließen und Ihnen ein besinnliches
Weihnachtsfest, einen guten Rutsch in das Neue Jahr
und vor allem ein gutes Jahr 2006 wünschen!
Mit den besten Grüßen
Dr. Rosenberger
Vorsitzender