Zunächst plädierte
die Bundesregierung (Prof. Dr. Motsch). Das
Plädoyer dauerte etwa 40 Minuten. Prof.
Dr. Motsch behauptete, die Entschädigungsregelungen
im EALG seien angemessen. Es wurde im wesentlichen
das wiederholt, was zur Genüge insoweit
bekannt ist (vgl. Motsch, VIZ 94, S. 569;
Schmidt-Preuss, NJW 94, S. 3249; Sendler,
VIZ 95, S. 65). An zwei Stellen wurde Prof.
Dr. Motsch durch Unmutsäußerungen
aus dem Publikum gestört, was den vorsitzenden
Richter Barreto (Portugal) zu Rügen veranlaßte.
Es
folgten die Plädoyers der Beschwerdeführer.
Zunächst sprach RA Gertner, Koblenz.
RA Gertner bemühte sich, seine Forderung
nach höheren Entschädigungs-/Ausgleichsleistungen
mit der von ihm ebenfalls vertretenen Forderung
zu verbinden, die zwischen 1945 und 1949 auf
besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher
Grundlage Enteigneten verwaltungsrechtlich
zu rehabilitieren.
Alsdann
plädierte für die AfA-Beschwerde
sowie die Beschwerde der beiden juristischen
Personen RA Dr. Lenz aus Stuttgart. Sowohl
im Plädoyer von Herrn Gertner, wie dem
von Dr. Lenz wurde die Verletzung des Art.
14 der Europäischen Menschenrechtskonvention
gerügt. Die beiden Plädoyers der
Rechtsanwälte Gertner und Dr. Lenz dauerten
zusammen ebenfalls ca. 40 Minuten.
Im
Anschluß daran fragte der Berichterstatter
unter den 7 Richtern, Ress (Deutschland) in
deutscher Sprache beide Parteien sinngemäß:
Der gerügte Art. 14 der Europäischen
Menschenrechtskonvention setze voraus, daß
ein Gleichheitsverstoß vorliege. Art.
14 der Europäischen Menschenrechtskonvention
sei allerdings anders konstruiert als Art.
3 des GG. Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention
sei akzessorisch. Er setze infolgedessen voraus,
daß ein anderes Menschenrecht der Konvention
verletzt sei. Er fragte beide Parteien, also
die Vertreter der Bundesregierung sowie die
der Beschwerdeführer, worin sie die Verletzung
des hier allein in Betracht kommenden anderen
Menschenrechts (Eigentumsschutz i.S. des 1.
Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention)
verletzt sähen und ob jedenfalls berechtigte
Erwartungen für eine bestimmte Entschädigungs-/Ausgleichsleistungshöhe
mit der Wiedervereinigung bestanden hätten.
Die
Bundesregierung beantragte eine Pause von
10 Minuten, um die Antwort auf die Frage vorzubereiten.
Nach
Ablauf der Pause von 10 Minuten führte
Frau Staatsanwältin Wittling-Vogel für
die Bundesregierung aus, daß insoweit
keine Rechtsposition und keine berechtigten
Erwartungen bestanden.
Demgegenüber
bezog sich Herr Gertner zunächst auf
die Gesetze zur straf- und verwaltungsrechtlichen
Rehabilitierung. Dr. Lenz bezog sich im wesentlichen
auf die Bodenreform-Entscheidung vom 23. April
1991. In einem obiter dictum des Bodenreform-Urteils
heißt es, daß, jedenfalls was
die Entschädigungen (nicht die Ausgleichsleistungen)
anbetrifft, sich diese nach dem Verkehrswert
des entzogenen Vermögens richten sollten.
Was die Ausgleichsleistungen anbetrifft, betonte
Dr. Lenz, daß im Bodenreform-Urteil
vom 23. April 1991 die Beschwerdeführer
vor dem BVerfG kostenmäßig zu 25
% gewonnen hätten, indem das BVerfG im
Urteil vom 23. April 1991, anders als die
“Gemeinsame Erklärung”, Ausgleichsleistungen
vorgeschrieben hätten. Daraus, so folgerte
er, sei vorgegeben, daß die Ausgleichsleistungen
mindestens 25 % betragen müßten.
Bei
seinem Plädoyer wurde von mehreren Personen
aus dem Publikum geklatscht, was den vorsitzenden
Richter Barreto ein drittes Mal dazu veranlaßte,
Ruhe zu gebieten.
Ein
kurzes, etwa 5-minütiges Plädoyer
von Herrn Wendenburg schloß sich an.
Der
EGMR wird die zu treffende Entscheidung zustellen.
Wann mit der Entscheidung zu rechnen ist,
wurde nicht mitgeteilt.
Anmerkung:
Das
Problem der Beschwerden zum EGMR kam in der
Frage des berichterstattenden Richters Ress
zum Ausdruck. Es beruht darauf, daß
die Europäische Menschenrechtskonvention
in ihrer Entscheidung vom 04. März 1996
(vgl. IOB-Rundschreiben vom 20. März
1996) die Verletzung des Eigentums im EV mit
der Begründung verneint hat, die Eigentumsverletzung
sei bereits zwischen 1945 und 1949 geschehen.
1990 hätten die zwischen 1945 und 1949
Enteigneten kein Eigentum mehr besessen.
Der
EGMR ist Rechtsnachfolger der Europäischen
Kommission für Menschenrechte bzw. hat
deren Aufgaben mit übernommen. Er ist
infolgedessen an die Entscheidungen der Europäischen
Menschenrechtskommission gebunden. Im Hinblick
auf die Entscheidung vom 04. März 1996
besteht die Schwierigkeit für die Beschwedeführer
daher darin, darzutun, daß sie n a c
h d e r W i e d e r v e r e i n i g u n g,
was die Höhe der Entschädigung anbetrifft,
zumindestens eine berechtigte Erwartung auf
eine a n g e m e s s e n e Entschädigung/Ausgleichsleistung
erhalten haben. Da im EV, in der Bodenreform-Entscheidung
von 1991 und in der parlamentarischen Diskussion
vor Verabschiedung des EALG keine Maßstäbe
für eine angemessene Entschädigung
enthalten sind, wird es im wesentlichen vom
Willen und der persönlichen Einschätzung
der zur Entscheidung berufenen Richter des
EGMR abhängen, ob das Gericht die Entschädigungs-/Ausgleichsleistungssätze
nach dem EALG für angemessen hält
oder einen Zuschlag durch den Bundesgesetzgeber
verlangt.
03. Februar 2004
Dr. Rosenberger
Vorsitzender