IOB
   Interessengemeinschaft der in der Zone enteigneten Betriebe e.V.

 
 

Bericht über die Verhandlung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am 29. Januar 2004:

Teilnehmer für die IOB: gesamter Vorstand (Dr. Rosenberger, Dr. Märker, Frau Fischer)

Die Zuschauerplätze waren gefüllt. Anwesend waren u.a.

Heiko Peters
Udo Maudaus
zahlreiche Betroffene, zu denen auch eine Reihe von IOB-Mitgliedern gehörten.




Zunächst plädierte die Bundesregierung (Prof. Dr. Motsch). Das Plädoyer dauerte etwa 40 Minuten. Prof. Dr. Motsch behauptete, die Entschädigungsregelungen im EALG seien angemessen. Es wurde im wesentlichen das wiederholt, was zur Genüge insoweit bekannt ist (vgl. Motsch, VIZ 94, S. 569; Schmidt-Preuss, NJW 94, S. 3249; Sendler, VIZ 95, S. 65). An zwei Stellen wurde Prof. Dr. Motsch durch Unmutsäußerungen aus dem Publikum gestört, was den vorsitzenden Richter Barreto (Portugal) zu Rügen veranlaßte.

Es folgten die Plädoyers der Beschwerdeführer. Zunächst sprach RA Gertner, Koblenz. RA Gertner bemühte sich, seine Forderung nach höheren Entschädigungs-/Ausgleichsleistungen mit der von ihm ebenfalls vertretenen Forderung zu verbinden, die zwischen 1945 und 1949 auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage Enteigneten verwaltungsrechtlich zu rehabilitieren.

Alsdann plädierte für die AfA-Beschwerde sowie die Beschwerde der beiden juristischen Personen RA Dr. Lenz aus Stuttgart. Sowohl im Plädoyer von Herrn Gertner, wie dem von Dr. Lenz wurde die Verletzung des Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention gerügt. Die beiden Plädoyers der Rechtsanwälte Gertner und Dr. Lenz dauerten zusammen ebenfalls ca. 40 Minuten.

Im Anschluß daran fragte der Berichterstatter unter den 7 Richtern, Ress (Deutschland) in deutscher Sprache beide Parteien sinngemäß: Der gerügte Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention setze voraus, daß ein Gleichheitsverstoß vorliege. Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention sei allerdings anders konstruiert als Art. 3 des GG. Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention sei akzessorisch. Er setze infolgedessen voraus, daß ein anderes Menschenrecht der Konvention verletzt sei. Er fragte beide Parteien, also die Vertreter der Bundesregierung sowie die der Beschwerdeführer, worin sie die Verletzung des hier allein in Betracht kommenden anderen Menschenrechts (Eigentumsschutz i.S. des 1. Zusatzprotokolls zur Menschenrechtskonvention) verletzt sähen und ob jedenfalls berechtigte Erwartungen für eine bestimmte Entschädigungs-/Ausgleichsleistungshöhe mit der Wiedervereinigung bestanden hätten.

Die Bundesregierung beantragte eine Pause von 10 Minuten, um die Antwort auf die Frage vorzubereiten.

Nach Ablauf der Pause von 10 Minuten führte Frau Staatsanwältin Wittling-Vogel für die Bundesregierung aus, daß insoweit keine Rechtsposition und keine berechtigten Erwartungen bestanden.

Demgegenüber bezog sich Herr Gertner zunächst auf die Gesetze zur straf- und verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung. Dr. Lenz bezog sich im wesentlichen auf die Bodenreform-Entscheidung vom 23. April 1991. In einem obiter dictum des Bodenreform-Urteils heißt es, daß, jedenfalls was die Entschädigungen (nicht die Ausgleichsleistungen) anbetrifft, sich diese nach dem Verkehrswert des entzogenen Vermögens richten sollten. Was die Ausgleichsleistungen anbetrifft, betonte Dr. Lenz, daß im Bodenreform-Urteil vom 23. April 1991 die Beschwerdeführer vor dem BVerfG kostenmäßig zu 25 % gewonnen hätten, indem das BVerfG im Urteil vom 23. April 1991, anders als die “Gemeinsame Erklärung”, Ausgleichsleistungen vorgeschrieben hätten. Daraus, so folgerte er, sei vorgegeben, daß die Ausgleichsleistungen mindestens 25 % betragen müßten.

Bei seinem Plädoyer wurde von mehreren Personen aus dem Publikum geklatscht, was den vorsitzenden Richter Barreto ein drittes Mal dazu veranlaßte, Ruhe zu gebieten.

Ein kurzes, etwa 5-minütiges Plädoyer von Herrn Wendenburg schloß sich an.

Der EGMR wird die zu treffende Entscheidung zustellen. Wann mit der Entscheidung zu rechnen ist, wurde nicht mitgeteilt.


Anmerkung:

Das Problem der Beschwerden zum EGMR kam in der Frage des berichterstattenden Richters Ress zum Ausdruck. Es beruht darauf, daß die Europäische Menschenrechtskonvention in ihrer Entscheidung vom 04. März 1996 (vgl. IOB-Rundschreiben vom 20. März 1996) die Verletzung des Eigentums im EV mit der Begründung verneint hat, die Eigentumsverletzung sei bereits zwischen 1945 und 1949 geschehen. 1990 hätten die zwischen 1945 und 1949 Enteigneten kein Eigentum mehr besessen.

Der EGMR ist Rechtsnachfolger der Europäischen Kommission für Menschenrechte bzw. hat deren Aufgaben mit übernommen. Er ist infolgedessen an die Entscheidungen der Europäischen Menschenrechtskommission gebunden. Im Hinblick auf die Entscheidung vom 04. März 1996 besteht die Schwierigkeit für die Beschwedeführer daher darin, darzutun, daß sie n a c h d e r W i e d e r v e r e i n i g u n g, was die Höhe der Entschädigung anbetrifft, zumindestens eine berechtigte Erwartung auf eine a n g e m e s s e n e Entschädigung/Ausgleichsleistung erhalten haben. Da im EV, in der Bodenreform-Entscheidung von 1991 und in der parlamentarischen Diskussion vor Verabschiedung des EALG keine Maßstäbe für eine angemessene Entschädigung enthalten sind, wird es im wesentlichen vom Willen und der persönlichen Einschätzung der zur Entscheidung berufenen Richter des EGMR abhängen, ob das Gericht die Entschädigungs-/Ausgleichsleistungssätze nach dem EALG für angemessen hält oder einen Zuschlag durch den Bundesgesetzgeber verlangt.

03. Februar 2004

Dr. Rosenberger
Vorsitzender

 
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